Unter Zeitdruck stehe ich an der
Busstation und schaue sekündlich auf die Uhr. In der einen Hand das Handy, in
der anderen mein Bündel Nerven. Die Haltestelle ist direkt neben dem Eingang
zur U-Bahn. Ein paar halbstarke Jungs pöbeln sich an und beweisen mit
stimmbruchgeplagtem Geschrei ihre unerfahrene Männlichkeit. Eine Mutter kämpft
mit dem Kinderwagen, die Rolltreppe funktioniert nicht, da helfen ihr zwei
Frauen mit Kopftuch die Stufen hinunter.
Zwischen all der Unruhe, nutzt ein Geiger
die gewaltige Akustik des Bahnhofs. Ich kenne ihn, er sitzt drei mal in der
Woche vor der weißen Wand mit den gebrochenen Fließen. Neben ihm sein
Geigenkasten, ein paar Cent zieren seinen Hunger. Die Musik klingt bis nach
oben und so verliere ich für einen Moment den Blick für meine Umwelt. Ich bin
ganz versunken. Obwohl es unerträglich heiß ist, spielt er Vivaldis Winter. So,
als ob er ein Zeichen setzen möchte gegen die herrschende Kälte in unserer
Gesellschaft. Seine Klänge sind eindringlich, er beherrscht den Bogen und
versucht all die Nebengeräusche zu übertönen. Dieser Mann hat Leidenschaft, er
brennt für jede Note. Es kommt ihm auf die Ausführung der Sache an, Applaus
scheint ihm unwichtig.
Doch
dieser Geiger macht aus dem bekannten YOLO, ein unbewusstes WOLO. Er zeigt uns
das alles was er tut, auch gleichzeitig für uns ist. Sein Talent teilt er mit
dir und mir. Er setzt sich zwischen Uringestank und zugige Ecken nicht nur für
ein paar kümmerliche Almosen, nein, er nutz die Isolation als Ventil. Denn wir
sind es, die ihn ignorieren. Dabei sind wir er und er sind wir!
Oft denke ich, ihm fehlt ein Pappschild,
auf dem steht:
„Ich beziehe dich nicht auf mich, denn wir
sind du und ich.“
Der begabte Streicher würde mich
wahrscheinlich für verrückt erklären, wenn er wüsste was ich alles in ihn
hinein interpretiere. Aber sind es nicht wir Menschen die uns inspirieren
sollen, die uns gegenseitig zum Denken anstupsen müssen. Ich lebe nur einmal,
aber ich lebe auch mit dir und mit dir da hinten. Wir leben nur einmal und das
sollten wir möglichst gut, ohne Abneigungen, ohne sturen Wahnsinn.
In dem Fall des Geigers reichen seine zwei
Hände, um etwas zu bewegen. Doch die vielen Ohren, die durch ihn berührt
werden, das ist es was uns zu einem WIR macht.
Er klappt seinen Koffer zu und schnappt
sich seinen wackeligen Hocker. Der Bahnhof ist wieder stumm, voller flüchtigem
Egoismus rennen wir dem YOLO hinterher und merken gar nicht das uns zum Y ein W
fehlt.
That´s all!
Euer Luckenbill
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