Schweißgebadet wachst du morgens auf, fasst dir fragend an
den Kopf: War es nur ein Traum? Ein Traum, doch nur ein Traum...! Mein Haupt
senkt sich zurück ins Kissen, ich bin wach, mehr wach als wach geht nicht. Die
Wände starren mich an, ich starre zurück. Wir haben uns nicht viel zu sagen.
Das Fenster ist weit geöffnet, ich schlafe immer bei offenem Fenster. Meine
Nachbarin hat wieder den Schallplattenspieler laut aufgedreht, das tut sie fast
täglich, immer zur gleichen Uhrzeit, eigentlich rund um die Uhr. Kontinuität,
das mag ich, auf sie ist verlass. Anhand der Musik lässt sich ihre aktuelle
Stimmung einordnen. Wenn sie Nina Hagen auflegt, sollte man im Treppenhaus die
Augen offen halten, dann ist sie aufgedreht und rutscht das Geländer hinunter.
So viel Enthusiasmus kann man einfach nicht ertragen! Ohnehin sollte man ihr
nur begegnen, wenn sie alte Schlager aus den 70er Jahren auflegt, dann ist sie
erträglich und freundlich. Mag daran liegen das sie sich an alte Tage erinnert
und dabei ihre Tüte raucht, zumindest würde das den Qualm aus ihrer Bude
erklären. Maria Callas oder Marlene Dietrich sind auch oft zu Gast auf ihrem
Plattenteller, das hat etwas bizarres, es ist eine nonverbale Aufforderung sich
mit der Nostalgie zu beschäftigen. Der Charme dieser Musik kann ich nicht
leugnen. Wenn sie aber die Platte von Alexandra auflegt und immer wieder auf
Anfang zurück geht, wird es gefährlich. (Für alle die Alexandra nicht kenne,
ein Star der leider in den 60er Jahren bei einem Verkehrsunfall zu tote kam.
Sie sang melancholische Songs, die unter die Haut gehen.) Meine Nachbarin
wiederholt stundenlang den Song „Illusionen“. Das ist das Zeichen, dass sie
sich unsterblich verliebte und es wieder nicht geklappt hat. Man tut gut sich
im Haus auf Zehenspitzen zu bewegen. Wenn ich ihre Türe passiere halte ich
sogar den Atem an. Oft scheitere ich und sie reißt verstört ihre Wohnungstüre
auf. Tränenübersät klagt sie endlos ihr Leid und beleidigt mich dann zum
Schluss: „Ich sei auch ein Mann und Männer sind ein großer Haufen Dreck, für
den es nicht wert ist zu leben.“ Bääämmm..., die Tür knallt ins Schloss! Und
wieder wird das Lied Illusionen auf Anfang gesetzt. In ganz kritischen Phasen
singt sie sogar mit, ihre Stimme ist ausbaufähig, eher unerträglich.
Ich stelle mir vor was dieser Frau im Leben passiert ist. Ich
versuche mich hinein zu versetzen in eine gekränkte Seele, die in ihrer eigenen
Welt lebt. Im Prinzip verbringt sie den Tag in einer Traumblase. Man weiß nicht
was in Menschen genau vor geht und warum sie sich so verhalten. Ihre ganze
Wohnung ist mit Fototapeten eingerichtet, Fotos von Sonnenuntergängen am
Strand. Fotos von glücklichen Augenblicken. Ich bin mir sicher sie ist
einsam. Sie hat Sehnsüchte, das spürt man in jedem Atemzug. Einmal sagte sie
mir: „Ich habe es verpasst, richtig zu leben. Aber solang die Sehnsucht träumen
kann, bleibt mir die Hoffnung.“ Sie hauchte ihren Zigarettenqualm in die Luft, ihr Blick war glasig.
Wenn man wieder auf Anfang drehen könnte, was würden wir
nicht alles anders machen?!
That´s all!
Euer Luckenbill
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