Irgendwas läuft schief, meine Assistentin Ludmilla bekommt
mehr Fanpost als meine Wenigkeit. Was hat sie, was ich nicht habe?! Brüste?
Einen Tanga? Also, darüber könnten wir reden...! Die Gute ist nur noch mit dem
öffnen von Briefen, beantworten von Mails und mit sexy Webcam-Sitzungen
beschäftigt. Wenigstens habe ich ihr jetzt einen Live-Kanal eingerichtet, da
lohnt sich das Theater um Ludmilla immerhin finanziell. Mein Buchungssystem für
sie ist auch bald fertig, dann kann das Geschäft richtig losgehen. Ludmilla
bekommt eine Anfrage nach der nächsten, auch honorige Ex-Persönlichkeiten wie
Philipp Rösler oder der Nudelchef Guido Barilla von und zu Pasta haben bereits
angefragt. Aber Ludmillas Grundsatz lautet: „Ich fangen nie was an mit Penne
Arrabiata, brennt wie Sau danach!“ Allerdings ist zwischendurch das Kalendersystem ein
klitzekleines bisschen durcheinander geraten, weil Ludmillas schwachköpfiger
Schwager wiedermal polnischer Super-Techniker spielen musste. Und zack hatte
ich an einem Tag fünf Buchungen drinstehen, aber was zuviel ist, ist zuviel.
Die liebe Ludmilla muss auch mal atmen können. Ich habe ihr bereits
vorgeschlagen, ob sie nicht als Verstärkung ihre bedeutend ältere Schwester für
ein paar Tage dazubuchen will?! Da lachte sie: „Chef das nix gut Idee, mein
Schwester Oliwia noch Jungefrau. Hat nix wie ich gut Berufsverfahrung.“ -
„Ludmilla, du willst doch nur nicht die Belgischen Pralinen teilen, die dir
alle „Termine“ heimlich zustecken...“ Maaann, die versaut mir mit ihrer Figur
noch das ganze Geschäft.
Ludmilla ist das Opfer eines klassischen
Aufmerksamkeitsdefizits. Doch sie ist nicht allein, es ist eine Massenkrankheit
geworden. Gerade sitze ich hier und der alljährliche Berlin-Marathon läuft an
meinem Fenster vorbei. Samstags die Inline-Skater und am heutigen Sonntag die
internationale Scharr von Läufern. Stundenlang stehen Passanten und Nachbarn
auf der Straße, pfeifen, rasseln und jubeln l a u t s t a r k. Jedem das seine,
aber hat ausgerechnet Ludmilla auch mitlaufen müssen? Natürlich! Als Anführerin
einer Gruppe voller Aufmerksamkeitsschüchtigen, suhlt sich Ludmilla unter
ihresgleichen. Ob nun grade frisch aus der Pubertät oder so alt, dass man schon
aus Mitleid klatscht, rennen alle Beteiligte um den Sieg und um die
minuten-kurze Anerkennung. Wenn man aber nachfragt heißt es immer „Oh nein, es
war mein Lebenstraum hier mitzulaufen“ oder „Ich mache mit aus der reinen
Freude zum Sport“ oder der All-time-Klassiker „Dabei sein ist alles“. Würg,
kotzt, hust, alles ach so selbstlose Menschen. Eine Herde der toleranten
Barmherzigkeit, mir kommen die Tränen. Kleine Selbstdarsteller in
kitschig-bunten-Lycra-Marathon-Höschen. An dieser Stelle sei gesagt: Ludmilla
trägt selbstverständlich NICHTS drunter! Und sie hat sich so eine völlig
bekloppte Capy gekauft, mit zwei Dosenhalterungen rechts/links und zwei
Schläuchen zum trinken. So wie ich die kenne wird sie sich eh wieder an einen
der Sieger aus Äthiopien ranmachen. Ludmilla mag es dunkel und schnell (ich
altes Plappermäulchen...). Nun von mir aus kann ja jeder machen was er will,
aber dann sollte man auch dazu stehen und kein Fleurop-Blumenbouquet drum herum
bauen. Wer ehrlich um Aufmerksamkeit bettelt, kann schneller erhört werden. Das
ist genauso wie bei denen, die sich ihre Facebook-Fans dazukaufen. Na ja, die
einen laufen Marathon die anderen täuschen einen Asthmaanfall vor. Wenn´s um
Aufmerksamkeit geht, da werden die Nationen erfinderisch. Meine Oma, ihres
Zeichens eine Diva, schmetterte in einem Luxusrestaurant ein Filet samt Teller
auf den Boden. Sie hatte mehrere Operationen an der Zunge wegen zuviel
Heuchelei, ähm nein, es war doch wegen dem Zungenkrebs. Da die arme Frau
niemandem leid tat, musste eben der Teller dran glauben, gepaart mit einer
gekonnten Heulattacke. Gott hab sie selig! Aufmerksamkeit kennt eben keinerlei
Grenzen. Wohl dem, der ein Grenzgänger ist und es schafft
aufmerksam-unkaufmerksam zu bleiben.
Mal sehen was der Tag noch so bringt, vielleicht feuere ich
ja gegen Ende des Berlin Marathons eine der letzten Krücken an, die sich zum Ziel am Brandenburger
Tor quälen. Für die sind meistens nur noch die Krümel vom Aufmerksamkeitskuchen
übrig und die Kehrmaschine des Bezirks fährt im Schritttempo neben ihnen
her...-„Ey Ludmillaaa, hör auf vor dem Fenster eine auf Tabeldance-Queen zu
machen. Die alten Lustmolche vom Seniorenheim gegenüber sollen dich gefälligst
über deinen Live-Kanal buchen. Ich habe schon extra Handzettel verteilt.“ Wenn
man mal ein paar Sekunden nicht aufpasst...
That´s all!
Euer Luckenbill
Foto by Kyle Thompson